Pascal Hector[1]

 

Die Harmonisierung von Zuwanderungs- und Asylpolitik

in der Europäischen Union

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Online-Version des Aufsates in: Loccumer Protokolle 64/1995, S. 107-125.

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A. Einleitung

Das Inkrafttreten des Vertrags über die Europäische Union am 01. November 1993 hat die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der bisherigen Europäischen Gemeinschaften als sog. "Dritten Pfeiler" in die Europäische Union einbezogen und so auf eine neue Grundlage gestellt [2]). Die erste Sitzung des Rates der Union in der Zusammensetzung der Innen- und Justizminister am 29./30. November 1993, also am Montag nach dieser Tagung, hat ein erstes Arbeitsprogramm verabschiedet, dessen drei Hauptprioritäten sind: Durchführung des Dubliner Abkommens (Zuständigkeit für Asylverfahren), einheitliche Anwendung des Flüchtlingsbegriffs des Art. 1a Genfer Flüchtlings Konvention (GFK) von 1951 sowie die Festlegung von Mindestverfahrensgarantien für die Prüfung von Asylanträgen als Beginn einer Harmonisierung des Asylverfahrens.

Das nachfolgende Referat behandelt in zwei Hauptteilen zunächst den durch den EUV geschaffenen institutionellen und rechtlichen Rahmen, um anschließend die konkret geplanten Politikmaßnahmen der Union in der Zuwanderungs- und Asylpolitik, einschließlich der Wanderungsursachenbekämpfung darzustellen.

Vorab zwei Klarstellungen: Hier wird stets der Begriff Zuwanderung statt Einwanderung verwandt, da keiner der Mitgliedstaaten der europäischen Union sich als Einwanderungsland versteht. Außerdem betreffen die nachfolgenden Ausführungen nur Wanderungsbewegungen zwischen der Union und Drittstaaten, beziehungsweise von Drittstaatern innerhalb der Union. Die freie Wanderung der Unionsbürger innerhalb der Union ist im Rahmen der Regeln über die Freizügigkeit (Art. 8a EGV und Ausführungsbestimmungen) gewährleistet.

 

 

B. Überblick über den Rahmen für Asyl- und Zuwanderungspolitik in der Europäischen Union

I. Institutioneller Rahmen

1. Allgemeiner Rahmen: Das drei Pfeiler Modell des EUV

Das bereits erwähnte drei Pfeiler Modell des EUV bedeutet: unter dem gemeinsamen Dach einheitlicher Institutionen (Art. C EUV), und zwar dem Rat der Minister und dem diesen vorbereitenden Ausschuß der Ständigen Vertreter (AStV), gliedert sich die Union in drei nach unterschiedlichen Verfahrensregeln arbeitende Bereiche:

-      die nunmehr in Europäische Gemeinschaft (EG) umbenannte frühere Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), nebst Europäischer Gemeinschaft für Kohle und Stahl und Europäischer Atomgemeinschaft, die den sogenannten erste Pfeiler bildet,

-      die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) als zweiten Pfeiler, sowie

-      die Innen- und Justizpolitik als dritten Pfeiler.

 

Der erste Pfeiler ist supranational ausgestaltet, mit starker Stellung der Kommission, als unabhängiges neutrales Organ, das das Gemeinschaftsinteresse vertritt, und auch vergleichsweise starker, teilweise bis zur Mitentscheidung reichender Beteiligung des Europäischen Parlaments. Für die Beschlußfassung reicht in zahlreichen Fällen eine qualifizierte Mehrheit aus.

Der zweite und dritte Pfeiler sind dagegen Formen der intergouvernementalen Zusammenarbeit. Hier steht die Zusammenarbeit zwischen den Regierungen der Mitgliedstaaten im Vordergrund. Kommission und europäisches Parlament haben nur eine sehr eingeschränkte Rolle. Beschlüsse werden in der Regel einstimmig gefaßt [3]).

Die Innen- und Justizpolitik ist auf die erste und die dritte Säule aufgeteilt. In den Gemeinschaftsbereich fallen bisher allerdings nur zwei eng begrenzte Einzelfragen der Visumspolitik, die Liste der visapflichtigen Drittstaaten und die Gestaltung der Visamarke (Art. 100 c EGV). Die übrigen Themen der Asyl- und Zuwanderungspolitik gehören in den 3. Pfeiler (Art. K.1 EUV). Aus der weiten Formulierung dieser Vorschrift folgt aber auch, daß alle Themen aus diesen Bereichen in der intergouvernementalen Zusammenarbeit behandelt werden können.

Der Unionsvertrag sieht darüberhinaus die Möglichkeit der Überführung weiterer Materien des 3. Pfeilers in den ersten über die sog. "Passerelle", die Brücke des Art. K.9 EUV vor. Durch einstimmigen, ratifizierungsbedürftigen Beschluß der Mitgliedstaaten können die Asyl- und Zuwanderungspolitik, sowie die übrigen in Art. K.1. Ziff. 1-6 EUV genannten Tätigkeitsfelder ganz oder teilweise in die Gemeinschaftskompetenz überführt werden. Das ist eine vereinfachte Form der Vertragsänderung. Die Bundesregierung unterstützt jedenfalls für den Asylbereich diese Überführung in die Gemeinschaftskompetenz, allerdings ist mit ihrer Verwirklichung in näherer Zukunft nicht zu rechnen. Der entsprechend der Erklärung zur Asylfrage [4]) im November 1993 vorgelegte Bericht der Kommission zur etwaigen Anwendung des Art. K.9 EUV auf die Asylpolitik kommt zu dem Ergebnis, daß die Voraussetzungen noch nicht gegeben sind. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, daß der EUV 11 Monate später als ursprünglich vorgesehen in Kraft getreten ist; daher wird die Prüfung zu einem späteren Zeitpunkt wiederholt werden.

 

 

2. Institutioneller Aufbau im 3. Pfeiler

Der dritte Pfeiler der Europäischen Union hat einen fünfstufigen Aufbau.

Oberstes Organ ist der Rat, der hier in der Regel in der Zusammensetzung der Innen- und Justizminister tagt.

Die Ratstagungen werden vorbereitet durch den Ausschuß der Ständigen Vertreter (AStV), Teil 2, der sich aus den Botschaftern der Mitgliedstaaten bei der Europäischen Union zusammensetzt.

Während Rat und AStV, auch wenn sie in wechselnden Zusammensetzungen tagen, Teil des allen Pfeiler gemeinsamen einheitlichen institutionellen Rahmens sind, ist der in Art. K.4 EUV erwähnte Koordinierungsausschuß hoher Beamter (sog. K.4-Ausschuß) das erste spezifisch zum 3. Pfeiler der Union gehörende Gremium. Seine Aufgabe ist in erster Linie die Koordination der Arbeiten der drei nachgeordneten Lenkungsgruppen.

Unter diesen ist hier vor allem die Lenkungsgruppe I (Asyl und Einwanderung) [5]), vor Inkrafttreten des EUV ad-hoc-Gruppe Einwanderung genannt, von Interesse. Wahrgenommen wird sie auf der Ebene höherer Beamter, z.B. Abteilungsleiter.

Ihr unterstellt sind die fünf Arbeitsgruppen Wanderung, Asyl, Visa, Außengrenzen und gefälschte Dokumente.

Außerhalb dieser hierarchischen Struktur stehen die organisatorisch von der Union unabhängigen sog. Clearinghouses für Asyl (CIREA) und Außengrenzen (CIREFI). Diese Institutionen dienen dem Informationsaustausch und der Abstimmung zwischen den Mitgliedstaaten aber auch der Forschung in ihrem Zuständigkeitsbereich.

 

 

II. Rechtliche Instrumente

Bei den rechtlichen Instrumenten der Zuwanderungs- und Asylpolitk sind zwei Gruppen zu unterscheiden: die im Zusammenhang der Europäischen Union abgeschlossenen Abkommen und die Beschlüsse der Innen- und Justizminister.

 

 

1.    Im Zusammenhang der Europäischen Union abgeschlossene Abkommen

Bisher wurden im Bereich Asyl und Zuwanderung im Zusammenhang mti der Union drei Abkommen angestrebt, von denen bisher allerdings noch keines vollständig umgesetzt ist.

Das Schengener Übereinkommen (SÜ) [6]) ergänzt durch das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) zielt auf die Abschaffung der Personenkontrollen an den Binnengrenzen. Es wurde von einem engeren Kreis von Unions-Mitgliedstaaten [7]) im Vorgriff auf das Außengrenzen-Übereinkommen abgeschlossen. Es gehört daher nicht zum Unionsrecht, wobei Art. K.7 EUV allerdings entsprechende Absprachen der Mitgliedstaaten im kleineren Kreis unter bestimmten Voraussetzungen ausdrücklich erlaubt. Das an sich für den 1. Februar 1994 vorgesehene Inkrafttreten mußte immer wieder hinausgeschoben werden, da das als Ausgleichsmaßnahme notwendige elektronische Informationssystem (Schengen Informationssystem - SIS) wegen technischer Mängel lange nicht in Betrieb genommen werden konnte. Nach deren Behebung ist am 22.12.1994 das Datum des Inkrafttretens auf den 26.03.1995 festgelegt worden. Damit würden ab diesem Zeitpunkt wenigsten bei einem Kern von Mitgliedstaaten alle Kontrollen - also Waren- und Personenkontrollen - an den Binnengrenzen entfallen.

Zum gemeinschaftlichen Besitzstand der Union, d.h. zum Unionsrecht, gehören ausweislich der bei den Beitrittsverhandlungen 1994 erstellten Liste das Dubliner- und das Außengrenzübereinkommen.

Das Dubliner Abkommen [8]) regelt die Zuständigkeit für die Prüfung eines Asylantrags. Sein Ziel ist sicherzustellen, daß jeder Asylantrag von genau einem Mitgliedstaat geprüft wird.

Das Außengrenzübereinkommen soll - nach dem Vorbild des im engeren Kreis abgeschlossenen Schengener Übereinkommens - die für die Abschaffung der Personenkontrollen an den Binnengrenzen erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen an den Außengrenzen festlegen. Seine Verabschiedung scheitert bisher an der Kontroverse zwischen England und Spanien über den Status von Gibraltar, insbesondere die Ausübung der Kontrollbefugnis.

 

 

2. Beschlüsse der Innen- und Justizminister

Von größerer praktischer Bedeutung als diese Abkommen, die alle noch nicht in Kraft getreten sind, sind bisher die Beschlüsse der Innen- und Justizminister. Hier sind drei Etappen zu unterscheiden.

Die erste ist das Arbeitsprogramm vom 03.12.1991 zur Vorbereitung des Europäischen Rates in Maastricht, in der mögliche Themen aus den Bereichen Asyl und Einwanderung für die Einbeziehung in die Union aufgelistet wurden.

Umgesetzt wurde dieses Arbeitsprogramm u.a. in den Londoner Beschlüssen vom 01./02.12.1992 in denen die Konzepte des sicheren Erstaufnahme-Staats, des sicheren Herkunftslands und des offensichtlich unbegründeten Asylantrags definiert wurden [9]) und die Grundlage der deutschen Asylrechtsreform von 1993 gewesen sind.

Seit dem Inkrafttreten des EUV faßt der Rat (Innen und Justiz) auf seinen etwa vierteljährlichen Sitzungen Beschlüsse zur Weiterentwicklung der Asyl- und Einwanderungsregeln; so insbesondere das am 29./30.11.1993 verabschiedete prioritäre Arbeitsprogramm.

 

 

C. Harmonisierung in der Europäischen Union:
Stand und Aussichten

Bei der Darstellung von Stand und Aussichten der Harmonisierung von Zuwanderungs- und Asylpolitik sind drei Themen zu unterscheiden: An sich würde eine Zweiteilung in Zuwanderungspoltik und Asylpolitik naheliegen. Aber dem möchte ich die Bekämpfung der Wanderungsursachen voranstellen, weil dies auch nach Auffassung der beteiligten Akteure der wichtigste Ansatzpunkt ist, um zu langfristig zufriedenstellenden Lösungen zu kommen. Auch die Flüchtlingskonzeption der Bundesregierung aus dem Jahre 1990 gibt den positiven Maßnahmen breiten Raum.

 

 

I.          Positive Massnahmen zur Vermeidung von Wanderungsbewegungen (Fluchtursachenbekämpfung)

Über positive Maßnahmen abschließend zu sprechen, ist unmöglich. Im Grunde handelt es sich hier um nicht mehr und nicht weniger als den gesamten Bereich der Außenbeziehungen der Union, zu deren wichtigsten Aufgaben es gehört, Frieden und Stabilität in anderen Regionen zu fördern. Deswegen können hier nur exemplarisch vier Bereiche herausgegriffen werden, die lediglich die Breite dieses Feldes darstellen sollen:

Zun nennen sind zum Beispiel die Anstrengungen der Union zur Marktöffnung, etwa im Rahmen des GATT. Hier ist das Stichwort: "trade not aid" also Marktöffnung als Mittel zur Verbesserung der Lebensbedingungen in den Herkunftsländern potentieller Migranten.

Daran schließt sich der gesamte Bereich der Förderung nachhaltiger Entwicklung an, ein Thema für sich, auf das hier nicht näher eingegangen werden kann, das aber in der Politik der Europäischen Union eine große Rolle spielt, z.B. über die Lomé-Abkommen.

In diesen Zusammenhang gehört auch der zweite Pfeiler der europäischen Union, die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Zu deren Kernanliegen gehört die Unterstützung der friedlichen Bewältigung von Umbruchsituationen in Drittstaaten. Die ersten gemeinsamen Aktionen, die im Rahmen der gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik beschlossen wurden, betreffen solche Umbruchsituationen, z.B. die humanitäre Hilfe im ehemaligen Jugoslawien, die Beobachtung der Parlamentswahlen in Rußland im Dezember 1993, die Unterstützung des Friedensprozesses in Südafrika und das Projekt eines Stabilitätspakts zu Europa, die sogenannte Balladur-Initiative, mit der unter anderem der Versuch unternommen wird, die von der KSZE in nichtrechtlicher Form entwickelten Normen, in einem Netzwerk bilateraler Verträge zwischen den Staaten Mittel- und Osteuropas in eine rechtliche Form zu überführen und damit auf eine tragfähigere Grundlage zu stellen.

Das stärkste Instrument der Stabilisierung und damit der Fluchtursachenbekämpfung, über das die Union verfügt, ist jedoch der Beitritt. Daher gehört zu den Prioritäten der deutschen Ratspräsidentschaft im 2. Halbjahr 1994 die Entwicklung einer Strategie für die schrittweise Heranführung der mittel- und osteuropäischen Staaten, mit denen die Union ein Assoziierungsabkommen geschlossen hat [10]), an die Union. In diesem Zusammenhang darf auch der Mittelmeerraum nicht vernachlässigt werden. Mit diesen beiden Räumen sind die wichtigsten Herkunftsgebiete potentieller Migranten erfaßt.

 

Mit diesen Ausführungen soll nicht der Eindruck erweckt werden, die gesamte Politik der Union werde nur unter Wanderungsgesichtspunkten konzipiert. Dies wäre natürlich eine Überdehnung. Aber der Gedanke der Wanderungsursachenbekämpfung fließt doch als einer unter vielen anderen in die genannten Politikbereich ein.

Die Erfahrung zeigt jedoch, daß alle diese Maßnahmen nicht ausreichen um das Enstehen eines Wanderungsdrucks in zahlreichen Ländern der Welt zu verhindern. Denn dies erforderte nicht weniger, als daß die Union in der Lage wäre die Ungleichheiten und Unfreiheiten der Welt zu beheben. Eine offensichtlich unrealistische Annahme. Daher bleiben - selbst unter Berücksichtigung der möglichen Verbesserungen bei der Ursachenbekämpfung - weitergehende Maßnahmen der Asyl- und Zuwanderungspolitik unverzichtbar.

 

 

II.        Zuwanderungspolitik

1.    Ziele der Europäischen Zuwanderungspolitik

Das Ziel der europäischen Zuwanderungspolitik ist ein doppeltes: Integration der legalen Einwanderer in die Gesellschaft des Aufnahmelandes verbunden mit einer Begrenzung der Zuwanderung.

Wichtigstes Ziel ist es, diejenigen Drittausländer, die sich legal und auf Dauer in einem Land der Europäischen Union aufhalten, in dessen Gesellschaft zu integrieren. Dies bedingt allerdings auch eine gewisse Beschränkung der Zahl, weil nur eine begrenzte Zahl, über deren genaue Abgrenzung sich allerdings trefflich streiten läßt, integriert werden kann.

Daraus folgt als weiteres Anliegen der Union die Begrenzung der Zuwanderung, zu einem Zeitpunkt da alle Mitgliedstaaten Immigrationsziele geworden sind, auch die traditionellen Emigrationsländer Südeuropas [11]). Jedenfalls betreibt heute kein Mitgliedstaat mehr eine Politik, die auf aktive Förderung der Zuwanderung abzielt. Einer der Kernpunkte ist, daß eine Einwanderung in die Union mit dem Ziel der Arbeitsaufnahme grundsätzlich ausgeschlossen ist.

Andererseits gehört zur Zuwanderungspolitik auch die Wahrung der in allen Mitgliedstaaten geltenden Grundsätze sozialer Gerechtigkeit, der Menschenrechte, einschließlich des Asylrechts [12]). Dies wirkt als öffnendes Korrektiv zum Grundsatz der Zuwanderungsbegrenzung. Daraus folgen Durchbrechungen, etwa im Bereich der Familienzusammenführung als Ausfluß des im im europäischen Rahmen durch Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) garantierten Grundrechts auf Schutz des Familienlebens. Hierher gehört auch die humanitäre Aufnahme in den Fällen, in denen zwar kein Asylrecht besteht, aber eine Abschiebung aus humanitären Gründen nicht in Betracht kommt.

 

 

2. Arbeitsprogramm Zuwanderungspolitik

a)    Langfristige Perspektiven

Das langfristige Arbeitsprogramm auf dem Gebiet der Zuwanderungspolitik ist im Bericht der für Einwanderungsfragen zuständigen Minister über die Einwanderungs- und Asylpolitik an den Europäischen Rat von Maastricht vom 03.12.1991 enthalten. Dort werden die nachfolgenden prioritäre Themen genannt, die bis zum Inkrafttreten des EUV behandelt werden sollten. Eine Fortsetzung über dieses sehr kurzfristig bemessene Datum war jedoch bereits vorgesehen. Auch jetzt, mehr als ein Jahr nach dem Inkrafttreten des EUV stehen die Arbeiten in den meisten Bereichen noch am Anfang.

 

-          Harmonisierung der Aufnahmepolitik, insbesondere der Aufnahmekriterien:

            Im Vordergrund steht hier die Harmonisierung der Kriterien für die Familienzusammenführung, einschließlich der zweiten Generation. Ein wichtiger rechtlicher Maßstab für diese Arbeiten könnte der für alle Mitgliedstaaten der Union geltende Art. 8 EMRK sein, der den Schutz von Ehe und Familie regelt.

            Weitere wichtige Bereiche, in denen eine Harmonisierung der Aufnahmekriterien erforderlich ist sind die Aufnahme aus humanitären Gründen, die Aufnahme von Studenten und die Aufnahme zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, der nachfolgend ein eigener Anstrich gewidmet ist.

 

-          Gemeinsames Vorgehen bei der Bekämpfung der illegalen Zuwanderung

            In diesen Bereich gehören zwei Kategorien von Maßnahmen: Maßnahmen gegen das unbefugte Überschreiten der Außengrenzen und solche gegen sich illegal in den Mitgliedstaaten aufhaltende Drittstaat-Angehörige.

            Bei der Zusammenarbeit bei der Überwachung der Außengrenzen konnte bisher kein wesentlicher Fortschritt erzielt werden, u.a. da das Außengrenzabkommen - wie bereits ausgeführt - noch nicht in Kraft getreten ist.

            Bei der Harmonisierung der Grundsätze für aufenthaltsbeendende Maßnahmen sind vor allem auch deren Grenzen zu berücksichtigen. So verbietet etwa auf der europäischen Ebene Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention in der Auslegung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg, die Abschiebung, wenn im Herkunftsland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.

            Schließlich gehört zum Berich der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen noch die internationale Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Durchgangsländern in Form von Rückübernahme-Abkommen.

 

-          Kriterien für die Zuwanderung von Arbeitskräften

            Obwohl die Zuwanderung in die Union mit dem Ziel der Arbeitsaufnahme, wie bereits ausgeführt, grundsätzlich ausgeschlossen ist, gibt es Teilbereiche, wo Ausnahmen gelten. Diese Ausnahmen werden festzulegen sein.

 

-          Rechtstellung von Drittstaatsangehörigen

            Ziel der Zuwanderungspolitik ist, die sich langfristig in einem Mitgliedstaat aufhaltenden Drittstaatsangehörigen in die Gesellschaft des Aufnahmestaats zu integrieren. Zu einer solchen Integration gehört auch die Möglichkeit der Teilnahme am europäischen Binnenmarkt.

            Hier handelt es sich um ein rechtlich und politisch interessantes Problem, da eine Unregelmäßigkeit im Unionsvertrag korrigiert werden muß. Art. 7a EG-Vertrag [13]) sieht die Freizügigkeit im Binnenmarkt ausdrücklich nur für Unionsbürger vor und schließt Drittstaater aus. Da aber de fakto schon heute kaum noch wirksame Personenkontrollen an den Binnengrenzen mehr stattfinden und sie zumindest zwischen den Schengen-Staaten mit dem Inkrafttreten des Schengener Abkommens, voraussichtlich im März 1995, endgültig entfallen, besteht in vielen Fällen doch eine de-fakto-Freizügigkeit für Drittstaat-Angehörige. Deswegen kommt es darauf an, die aufenthaltsrechtlichen Regelungen zwischen den Mitgliedstaaten zu harmonisieren.

            Rechtsgrundlage hierfür ist Art. K.1 Nr. 3 EUV, wonach auch die Einwanderungspolitik zur intergouvernementalen Zusammenarbeit gehört. Dies bedeutet eine zweifache Abgrenzung: die Regelungsbefugnis für den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen in den Mitgliedstaaten ist weder rein national, noch gemeinschaftlich. Dies bedeutet aber auch, daß das gesamte Ausländerrecht zu einer Materie geworden ist, mit der sich die Union befassen kann.

            Bei der Ausdehnung der Freizügigkeit auf Drittausländer ist ein schrittweises, nach dem jeweiligen Sachbereich differenziertes Vorgehen unvermeidlich. So gilt beispielsweise bereits jetzt Freizügigkeit für Studenten aus Drittstaaten im Rahmen des Erasmus-Programms, also wenn sie mit offizieller Förderung durch die EG-Mittel in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft als ihrem Wohnsitzstaat studieren. Unter der deutschen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 1995 wurden darüberhinaus Freizügigkeitsregeln für die Reisen von Schulklassen verabschiedet. Versuche einer darüberhinausgehenden Harmonisierung stoßen derzeit auf Schwierigkeiten.

 

-          Zuwanderungspolitik im weiteren Sinne

            Kernstück dieser sonstigen Maßnahmen könnte eine Informationsprogramm, durch das potentielle Zuwanderer bereits in ihren Herkunftsländern, insbesondere in Osteuropa und Nordafrika, über die tatsächliche Lage in der Union informiert werden. Dies würde dazu beitragen, überzogene Erwartungen über die sich in der Union bietenden Möglichkeiten abzubauen.

 

 

b)      Prioritäres Arbeitsprogramm für 1994

In seiner Tagung am 29./30.11.1993 hat der Rat der Europäischen Union in der Zusammensetzung der Innen- und Justizminister ein prioritäres Arbeitsprogramm für 1994 verabschiedet. Dort sind vor allem aufgeführt:

-          Anpassung des Entwurfs eines Außengrenzübereinkommens infolge des Inkrafttretens des Unionsvertrags,

-          Visapolitik, dies betrifft den kleinen Bereich der Visapolitik, der in die  Gemeinschaftskompetenz fällt, d.h. die Liste der visapflichtigen Drittstaatsangehörigen,

-          innergemeinschaftliche Freizügigkeit für bereits in der Union ansässige Drittstaatsangehörige, insbesondere Selbständige, abhängig Beschäftigte und Studenten,

-          Rückübernahmemöglichkeiten, insbesondere die Aufnahme von Kontakten mit Transit- oder Herkunftsländern wegen der Rückübernahme ihrer Staatsangehörigen bzw. der über ihr Staatsgebiet eingereisten Personen,

-          Zusammenarbeit bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen,

-          Zusammenarbeit bei der Kontrolle der sich illegal im Unionsgebiet aufhaltenden Personen.

 

 

III. Asylpolitik

Die Asylpolitik, das sei eingangs noch einmal besonders hervorgehoben, ist durch Art. K.1 EUV in vollem Umfang und ohne jede Einschränkung in den dritten Pfeiler einbezogen. Das heißt, es gibt also keinen Bereich der Asylpolitik, der nicht der Unionskompetenz in Form der intergouvernementalen Zusammenarbeit nach Titel VI des Unionsvertrages [14]) unterfällt. Damit können alle Maßnahmen der Harmonisierung des Asylrechts - sowohl des formellen wie des materiellen - in diesem Rahmen erlassen werden [15]).

Der Zusammenarbeit in der Asylpolitik kommt nach dem Willen des Europäischen Rats von Maastricht die höchste Priorität zu. Dies folgt aus der "Erklärung zur Asylfrage" [16]), in der die Absicht bekundet wurde, bis Anfang 1993 eine gemeinsame Aktion in diesem Bereich zu beschließen. Nach dem Inkrafttreten des EUV wurde ein erster Rahemn für die Erfüllung dieses Auftrags durch den Ratsbeschluß vom 29./30.11.1993 über das prioritäre Arbeitsprogramm für 1994 geschaffen.

 

 

1. Ziele der Europäischen Asylpolitik

Oberstes Ziel der europäischen Asylpolitik ist die Gewährleistung des Schutzes politisch Verfolgter. Die Verpflichtung auf dieses Ziel folgt für alle Mitgliedstaaten aus der Genfer Flüchtlingskonvention und dem New Yorker Protokoll. Diese Rechtsakt sind damit auch die Leitlinien für die Asylpolitik der Union.

Dies bedingt eine klare Unterscheidung zwischen Flüchtlingen im Sinne der Konvention und sonstigen Migranten. Diese klare Unterscheidung wird auch vom Flüchtlingshochkommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) gefordert [17]). Politisch Verfolgte sind auf den Schutz der internationalen Gemeinschaft besonders angewiesen, weil ihre eigenen Regierungen ihnen diesen Schutz nicht angedeihen lassen. Hier müssen die Aufgaben des Heimatstaats, die dieser im spezifischen Einzelfall des politisch Verfolgten nicht erfüllen kann oder will durch andere übernommen werden. Das ist nicht der Fall bei anderen Migranten, insbesondere solchen aus wirtschaftlichen Gründen, die sich in der gleichen Lage befinden wie die Mehrzahl der Bewohner ihres Heimatlandes. Daher enthält der Gedanke, durch eine klare Unterscheidung in politisch Verfolgte und sonstige Migranten die Hilfsmöglichkeiten für die Bedürftigsten offenzuhalten, auch ein Gerechtigkeitselement.

Das zweite Ziel ist die Schaffung wirksamer Ausgleichsmaßnahmen für den Abbau der Binnengrenzen: Die Bestandteile der bisherigen Maßnahmen nationaler Asylpolitik, die Grenzkontrollen an den Binnengrenzen voraussetzen, müssen durch neue Instrumente ersetzt werden. Dies betrifft insbesondere die Regelung der Frage, welcher Staat zuständig für die Durchführung des Anerkennungsverfahrens ist.

Eine wichtige Nebenbedingung ist die Vermeidung der Umleitung von Zuwanderungsströmen von einem Mitgliedstaat in einen anderen. Kein Staat darf seine Flüchtlingsprobleme auf Kosten der anderen Mitgliedstaaten lösen. Daher muß eine Lösung für das gesamte Unionsgebiet gefunden werden.

Das verfahrensmäßige Ziel ist daher die Gewährleistung der ordnungsgemäßen Prüfung im Asylverfahren durch genau einen Mitgliedstaat.

Genau ein Mitgliedstaat bedeutet zweierlei: zum einen, daß in jedem Einzelfall mindestens ein Mitgliedstaat zur Durchführung des Asylverfahrens bereitsteht, also Vermeidung des Problems des Refugee in Orbit, und es heißt zum anderen, daß keine Doppelprüfung stattfindet, sondern daß die Asylentscheidung eines Staates von allen anderen Mitgliedstaaten anerkannt wird.

Darüberhinaus muß die Prüfung durch den so ermittelten zuständigen Staat ordnungsgemäß sein. Hierzu ist ein Minimum an Harmonisierung, vor allem im materiellen Asylrecht und bei den aufenthaltsbeendenden Maßnahmen erforderlich. Auch eine gewisse Mindestharmonisierung der Verfahrensbestimmungen in Form von Mindestverfahrensgarantien ist beabsichtigt, allerdings nicht die Harmonisierung der Asylverfahren insgesamt. Insbesonder beim Verwaltungsaufbaus und beim Rechtswegesystems werden die Mitgliedstaaten ihre nationalen Systeme beibehalten. Kontrollinstrument ist hier die EMRK.

Schließlich gehört zu den Grundgedanken der europäischen Asylpolitik auch die Gewährleistung des Aufenthalts aus humanitären Gründen für solche nichtasylberechtigte Ausländer, denen aufgrund ihrer persönlichen Umstände eine Rückkehr in das Herkunftsland billigerweise nicht zugemutet werden kann, das sogenannte "kleine Asyl".

 

2. Langfristiges Arbeitsprogramm Asylpolitik

Auch für den Bereich der Asylpolitik ist der Rahmen für das langfristige Arbeitsprogramm im Bericht der Einwanderungsminister an den Europäischen Rat in Maastricht vom 03.12.1991 abgesteckt worden. Er enthält im wesentlichen die nachfolgend beschriebenen vier Elemente. Darüberhinaus soll langfristig auch geprüft werden, wie die einheitliche Anwendung der Asylpolitik zu garantieren ist und unter welchen Voraussetzungen eine Angleichung der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber sinnvoll ist. Die nachfolgende Darstellung orientiert sich an diesem Rahmen, wie er durch die nachfolgenden Arbeiten bisher ausgefüllt worden ist.

 

 

a)      Harmonisierung im Verfahren, insbes. Anwendung und Durchführung des Dubliner Übereinkommens

Das Dubliner Übereinkommen regelt mit der Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags einen wesentlichen Bereich des Asylverfahrens. In Vorbereitung auf sein Inkrafttreten sind folgende Arbeiten ins Auge gefaßt: die gemeinschaftsweit einheitliche Auslegung und Anwendung der dort verwendeten Begriffe, die Festlegung von Regel über den Informationsaustausch sowie über Durchführungsmechanismen und Maßnahmen zur eindeutigen Identitätsfeststellung, um Doppelanträge zu vermeiden. Zu diesem Zweck wird ein automatisiertes Erkennungssystem für Fingerabdrücke (Eurodac) entwickelt.

 

 

b)      Harmonisierung des materiellen Asylrechts

Bei der Harmonisierung des materiellen Asylrechts geht es um die einheitliche Auslegung und Anwendung der einschlägigen zentralen Rechtsbegriffe. Hierzu gehören vor allem:

 

-           der Flüchtlingsbegriff (Art. 1 A GFK),

 

-           der offensichtlich unbegründete Asylantrag:

            Eine erste Ausfüllung des Begriffs ist durch die Londoner Entschließung der Einwanderungsminister über offensichtlich unbegründete Asylanträge vom 01.12.1992 [18]) erfolgt. Dahinter steht der Gedanke der Anpassung der Verfahrensdauer an die tatsächliche Schwierigkeit des Falls. Damit sollen, unter Wahrung des Grundsatzes der Einzelprüfung, offensichtlich einfache Verfahren aussortiert werden, womit für die komplizierteren Fälle mehr Zeit verbleibt. Die Kategorie des offensichtlich unbegründeten Asylantrags mit der Folge eines beschleunigten Verfahrens ist auch vom UNHCR anerkannt [19]).

            Die Entschließung unterscheidet zwei Hauptfälle: die offensichtlich unsubstantiierte Behauptung, es liege Verfolgung vor, mit den beiden wichtigen Unterfällen des sicheren Herkunftslands und der Möglichkeit zur Erlangung anderweitigen Schutzes, sowie die vorsätzliche Täuschung über asylwesentliche Tatsachen.

            Liegen die Umstände vor ist der Staat politisch gehalten spätestens ab 01.01.1995 ein beschleunigten Verfahren durchzuführen, mit dem Ziel der Erstentscheidung innerhalb eines Monats und vereinfachtem Rechtsmittelverfahren. Dabei sind verfahrensmäßige Mindestanforderungen zu beachten, deren wichtigste das Recht zum persönlichen Gespräch mit dem Entscheider ist. Bei einer negativen Entscheidung ist der Staat zur Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen verpflichtet, sofern nicht eine Aufenthaltsberechtigung oder Duldung aus anderem Grund in Betracht kommt.

 

-          der sichere Erstaufnahmestaat

            Der in der Entschließung zum offensichtlich unbegründeten Asylantrag verwendete Begriff des sicheren Erstaufnahmestaats ist in der Londoner Entschließung über eine einheitliche Antwort auf Fragen, die Drittaufnahmestaaten betreffen, vom 01.12.1992 näher bestimmt.

            Ein Drittaufnahmestaat ist sicher, wenn dem Asylbewerber dort keine Gefahr für Leben, Gesundheit oder Freiheit droht und insbesondere auch keine Rückweisung in das Herkunftsland (sog. "Refoulement"). Außerdem muß der Bewerber zumindest die Gelegenheit gehabt haben, den Schutz dieses Landes zu beantragen, entweder an seinen Grenzen oder bei einem Aufenthalt auf seinem Staatsgebiet.

            Verfahrensfolge ist die Zurückweisung in den Erstaufnahmestaat ohne inhaltliche Prüfung des Asylantrags. Im Innenverhältnis zwischen den Mitgliedstaaten ist die Regel durch das Dubliner Abkommen modifiziert.

 

-           der sichere Herkunftsstaat

            Grundlage ist hier der Londoner Beschluß über Staaten, in denen im Allgemeinen keine schwerwiegende Verfolgungsgefahr besteht vom 01.12.1992. Darin werden vier Kriterien aufgeführt, die bei der Einstufung als sicher geprüft werden müssen: erstens die Anerkennungsquote unter den Bewerbern aus diesem Staat, zweitens die Achtung der Menschenrechte, sowohl hinsichtlich der übernommenen rechtlichen Verpflichtungen als auch in der Praxis, wobei insbesondere auch die Bereitschaft eine Überprüfung der Menschenrechtslage durch Nichtregierungsorganisationen zuzulassen ins Gewicht fällt, drittens die demokratische Verfassung und viertens die Stabilität des Staates im Zeitverlauf. Es handelt sich also um eine umfassende Betrachtung der politischen Situation im Herkunftsland.

 

Bei der Harmonisierung der beiden letztgenannten Begriffe geht es nicht um die Erstellung gemeinsamer Listen, sondern lediglich um die Festlegung von gemeinsamen Kriterien, die jeder Mitgliedstaat für sich anwendet.

 

 

c)       Harmonisierung der Entfernungspolitik

Der dritte Bereich des langfristigen Arbeitsprogramms von 1991 ist die Harmonisierung der Entfernungspolitik. Erste Festlegungen zur Ausfüllung dieses Punktes sind in der Londoner Empfehlung über Praktiken der Mitgliedstaaten bei der Ausweisung vom 01.12.1992, ergänzt durch die Empfehlung über den Transit durch andere Mitgliedstaaten bei der Abschiebung vom gleichen Tag enthalten.

Hiernach sind die Mitgliedstaaten politisch verpflichtet, endgültig abgelehnte Asylbewerber oder sonstige, sich unrechtmäßig im Unionsgebiet aufhaltenden Personen auszuweisen, sofern nicht besondere Gründe entgegenstehen. Diese Verpflichtung gegenüber den anderen Mitgliedstaaten folgt aus der Öffnung der Binnengrenzen, da Angehörige dieses Personenkreises sonst die Binnengrenzen zumindest faktisch frei überschreiten und sich in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen könnten.

Die Entschließung hebt die sowieso bestehenden einschlägigen völkerrechtlichen Verpflichtungen, insbes. die Genfer Konvention und die Europäische Menschenrechtskonvention als Schranken der Ausweisungsbefugnis nochmals besonders hervor.

Der Abschluß von Rückübernahmeübereinkommen und Maßnahmen zur Bekämpfung der Schlepper werden empfohlen.

 

 

d)         Einrichtung einer Stelle für den Informations- und Gedankenaustausch ("clearing house") (CIREA)

Grundlage für die ordnungsgemäße und einheitliche Anwendung der genannten Konzepte in der Praxis ist eine zuverlässige Informationsgrundlage für alle Mitgliedstaaten. Daher wurde beim Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union ein Stelle das sog. Clearing-House Asyl (CIREA), eingerichtet, die dem schriftlichen und mündlichen Informationsaustausch über Gesetzgebung, Politik, Rechtsprechung und Informationen über die Herkunftsländer dient. CIREA hat beispielsweise Leitlinien für die Erstellung von Berichten über die Lage in den Herkunftsländern ausgearbeitet.

 

 

3.    Prioritäres Arbeitsprogramm 1994

Das vom Rat (Innen und Justiz) auf seiner Tagung am 29./30.11.1993 verabschiedete prioritäre Arbeitsprogramm sah folgende fünf Schwerpunkte vor:

-          Umsetzung des Dubliner Abkommens,

-          Entscheidung über die Realisierung des Fingerabdruckvergleichssystems EURODAC,

-          Einheitliche Definition des Flüchtlingsbegriffs im Sinn von Art. 1.A Genfer Konvention,

-          Festlegung von Mindestverfahrensgarantien für Asylverfahren,

-          Prüfung der Möglichkeit einer gemeinsamen Aktion oder einer Konvention auf der Grundlage der Londoner Beschlüsse.

 

Mehr als ein Jahr nach diesem Beschluß, im Dezember 1994, ist außer bei EURODAC noch kein wesentlicher Fortschritt zu verzeichnen, was die Schwierigkeiten der Arbeit im 3. Pfeiler des EUV deutlich macht.

 

 

D. Ausblick

Dieser Vortrag ist der Versuch einer realistischen Darstellung des von der Europäischen Union gewählten Ansatzes in der Zuwanderungs- und Asylpolitik. Die Darstellung orientiert sich an den von den zuständigen Ministern festgelegten Arbeitsprogrammen.

Die Erfahrung des ersten Jahres nach dem Inkrafttreten des Unionsvertrages hat gezeigt, daß das hier skizzierte langfristige Arbeitsprogramm bei realistischer Betrachtung eher an der oberen Grenze dessen liegt, was in den nächsten Jahren verwirklicht werden kann. Ansätze, die wesentlich über das hier Skizzierte hinausgehen und insbesondere der große Entwurf eines Neuansatzes der europäischen Zuwanderungs- und Aylpolitik haben zumindest kurzfristig kaum Aussicht, in die Praxis der Union umgesetzt zu werden.

 

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[1])             Dr. iur.; Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Verfassers wieder. Er wurde am 28.11.1993 gehalten und befindet sich daher grundsätzlich auf diesem Stand, spätere Entwicklungen bis Dezember 1994 wurden jedoch soweit möglich eingearbeitet.

[2])             Zur Zusammenarbeit in der Innen- und Justizpolitik vor Maastricht, sowie Übersicht über die Regelungen des EUV auf diesem Gebiet: Nanz, Klaus-Peter: "Der '3. Pfeiler der Europäischen Union': Zusammenarbeit in der Innen- und Justizpolitik", Integration 15.1992, 126-140; zur neueren Entwicklung bis Mai 1994: Nanz, Klaus-Peter: The harmonization of asylum and immigration legislation within the third pillar of the Union treaty - a stocktaking, in: Monar, Joerg und Morgan, Roger (Hrsg.): The third pillar of the European Union, Brüssel 1994, S. 123-133.

[3])             Allerdings haben die Mitgliedstaaten in Erklärung Nr. 27 zum EUV vereinbart, daß sie im Bereich der GASP "soweit wie möglich davon absehen, die Einstimmigkeit zu verhindern, sofern eine qualifizierte Mehrheit für die betreffende Entscheidung besteht".

[4])             Erklärung Nr. 31 zur Schlußakte des EUV.

[5])             Daneben gibt es noch die Lenkungsgruppe II (Polizei und Zoll) mit den Arbeitsgruppen Terrorismus, Polizeikooperation, Organisiertes Verbrechen/Drogen, Zoll und ad-hoc Europol, sowie die Lenkungsgruppe III (Justizielle Zusammenarbeit) mit den abwechselnd tagenden Arbeitsgruppen Zivilrecht und Strafrecht.

[6])             Ausführliche Darstellung bei: Nanz, Klaus-Peter: Das Schengener Übereinkommen: Personenfreizügigkeit in integrationspolitischer Perspektive, Integration 17.1994, 92-108.

[7])             Zunächst Deutschland, Frankreich, Belgien, Niederlande und Luxemburg; weitere Mitgliedstaaten können beitreten. Hiervon haben Gebrauch gemacht: Spanien und Portugal; Italien und Griechenland beabsichtigen nach der Lösung technischer Schwierigkeiten beizutreten; das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark lehnen dies ab. Österreich ist assoziert und wird nach Vollzug des Beitritts zur EU am 01.01.1995 voraussichtlich alsbald beitreten.

[8])             Vgl. hierzu: Stéfanini, Patrick und Doublet, Frédérique: Le droit d'asile en Europe: La convention relative à la détermination de l'Etat responsable de l'examen d'une demande d'asile présentée auprès d'un Etat membre des Communautés Européennes, Revue du Marché Commun 1991, 391-399.

[9])             Hierzu ausführlich: unten C.III.2.

[10])            Im Herbst 1994: Polen, Tschechische Republik, Slowakische Republik, Ungarn, Rumänien, Bulgaren. Der Abschluß solcher Abkommen wird angestrebt mit Slowenien, Estland, Lettland und Litauen.

[11])            Vgl. die statistische Übersicht über die Einwanderung aus den Mittelmeerdrittstaaten in die Mitgliedstaaten in: Callovi, Guiseppe: "L'Europe des Douze au défi de l'immigration", L'Evènement Européen, 1990 (Heft 11), 27-46, insbes. S. 28.

[12])            Zum Asylrecht siehe ausführlich: unten III.

[13])            Vor der Änderung des EGV durch den EUV Art. 8a.

[14])            Zu den beschränkten Bereichen, die sogar der Gemeinschaftskompetenz nach Art. 100c EGV unterfallen und der sog. "Passerelle", s.o. unter B.I.1.

[15])            Einzelheiten: Nanz, Klaus-Peter: "Der '3. Pfeiler'...", a.a.O., S. 133 ff.

[16])            Ziff. III.31. der Schlußakte von Maastricht.

[17])            So ausdrücklich in einem Namensartikel: Ogata, Sadako: Flüchtlinge und Asylanten - Eine Herausforderung für eine europäische Einwanderungspolitik, in: The Philip Morris Institute (Hrsg.): Hin zu einer europäischen Einwanderungspolitik, 1993, S. 6-20, insbes. S. 16: "Das zweite Element einer umfassenden Strategie ist die klare Unterscheidung zwischen Flüchtlingen und Migranten.".

[18])            Das Paket der Londoner Entschließungen vom 01.12.1992 war die Grundlage für die Neuregelung des Asylrechts in Deutschland im Jahr 1993.

[19])            Schlußfolgerungen Nr. 28 und 30 des Exekutivausschusses des UNHCR, von der 42. Tagung des UNHCR-EXCOM im Oktober 1991 nochmals bestätigt.